Januar 2014

Westfalenbaltt vom 11.07.2014

Haltestelle Goetheplatz: Für Künstler Horst Perlick ist es ein besonderer Moment, seine Skulptur an dieser Stelle zu sehen. Immerhin hatte der Stadtrat sich mehrheitlich dagegen ausgesprochen. Eine Fiberglas-Variante der Skulptur machte es gestern möglich. Foto: Hilko Raske

Der Ohrenmensch bewegt sich
Skulptur des Künstlers Horst Perlick begibt sich auf die Reise

Bünde (BZ). Sie sollte als Mahnmal am Goetheplatz stehen: die vom Bünder Künstler Horst Perlick geschaffene Skulptur »Ohrenmensch«. Das Projekt scheiterte. Es fehlten die Mittel, zudem hatte sich der Stadtrat gegen eine Neugestaltung des Platzes ausgesprochen. Nun ist der Ohrenmensch doch am Goetheplatz zu sehen gewesen – wenn auch nur vorübergehend.
Als Perlick vor 30 Jahren den Ohrenmenschen schuf, konnte er nicht ahnen, dass die Skulptur Auslöser einer kontroversen Diskussion werden sollte. Immerhin soll die im Original nur 50 Zentimeter große Plastik für Frieden, Aussöhnung und Völkerverständigung stehen. Da schien es naheliegend, mit einer zwei Meter hohen Version des Ohrenmenschen an das Schicksal der ermordeten jüdischen Familie Spanier zu erinnern, die auf dem Areal des Goetheplatzes – diesen Namen erhielt die Fläche erst 1949 – eine Gastwirtschaft mit Textil- und Kolonialwarenladen betrieben hatte. Mit einer Stimme Mehrheit sprachen sich aber CDU, FDP und UWG gegen den Ohrenmenschen als Mahnmal an dieser Stelle aus, wollten stattdessen das deutlich kleinere Original im Rathaus präsentieren.
Inzwischen ist der Ohrenmensch erwachsen geworden – und über die ursprüngliche Idee, ihn auf dem Goetheplatz aufzustellen, hinausgewachsen. Auch Horst Perlick hat sich mittlerweile von diesem Projekt verabschiedet. Die Skulptur soll auf die Reise gehen. Möglich macht das eine etwa zwei Meter große Kopie aus Fiberglas, die von der Bielefelder Agentur Eigenrauch & Partner in Auftrag gegeben wurde. Gestern Vormittag konnte man den Ohrenmenschen erleben, wie er vom Goetheplatz auf Rollen durch die Fußgängerzone in Richtung Dobergmuseum geschoben wurde. Dort soll die Skulptur in den nächsten Monaten ein neues Zuhause finden, wenn vom 31. August bis 30. November eine Ausstellung mit Werken von Horst Perlick im Dobergmuseum präsentiert wird. Unter dem Titel »Malerei und Skulptur zwischen Wildheit und Aussöhnung« sollen dort etwa 100 Bilder und Plastiken gezeigt werden
Für Horst Perlick war es auch ein Moment der Genugtuung zu sehen, wie seine Skulptur vom Goetheplatz aus durch die Fußgängerzone bewegt wurde. »Das habe ich mir für den Ohrenmenschen immer gewünscht.« Zum einen habe die Plastik dort gestanden, wo sie eigentlich hätte zu sehen sein sollen. Und zum anderen sei so auf die Botschaft des Ohrenmenschen aufmerksam gemacht worden. »Er steht für alle, die friedfertig und ohne Hass sind.« Nach der Ausstellung im Dobergmuseum soll die Reise des Ohrenmenschen deshalb in andere Städte weitergehen. Dafür sollen mehrere Exemplare der Figur – die auch käuflich zu erwerben ist – hergestellt werden.
Von Hilko Raske

Westfalenblatt vom 31.01.2014

Am Goetheplatz sollen künftig eine Gedenktafel und der Umriss des ehemaligen Spanier-Hauses an die jüdische Familie Spanier erinnern. Die Installation einer Ohrenmensch-Skulptur (kleines Bild) und die Umbenennung des Platzes wurden abgelehnt. Foto: Kathrin Brinkmann

Goetheplatz: Umbenennung vom Tisch
Gedenktafel soll an jüdische Familie Spanier erinnern – Mehrheit der Politiker lehnt Ohrenmensch-Skulptur ab

B ü n d e (BZ). Soll der Goetheplatz zum Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg ermordete jüdische Familie Spanier in »Spanierplatz« umbenannt werden? Darüber hat am Mittwoch der Planungsausschuss diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass weder eine Umbenennung des Platzes noch die Aufstellung einer Ohrenmensch-Skulptur auf dem Platz erfolgen soll. Am Goetheplatz sollen künftig eine Gedenktafel und der Umriss des ehemaligen Spanier-Hauses an die jüdische Familie Spanier erinnern. Die Installation einer Ohrenmensch-Skulptur (kleines Bild) und die Umbenennung des Platzes wurden abgelehnt. Foto: Kathrin Brinkmann

Hobby-Historiker Jörg Militzer fasste für die Politiker die Geschichte des Goetheplatzes zu Beginn der Sitzung zusammen. Er berichtete, dass Moritz Spanier, ein jüdischer Geschäftsmann aus Herford, im Jahr 1874 den damals noch namenlosen Goetheplatz erwarb und auf dem Areal eine Gastwirtschaft mit Textil- und Kolonialwarenladen errichtete. Damals sei der Goetheplatz in Anlehnung an seinen Besitzer im Volksmund als »Moritzplatz« bezeichnet worden. Als Moritz Spanier 1914 starb, übernahmen seine Söhne Willy und Otto die Gastwirtschaft. Am 10. November 1938 brannten SS und SA das Haus der jüdischen Familie nieder. Obwohl das Gelände zunächst weiterhin im Besitz der Spaniers blieb, wurde dort 1941 eine öffentliche Grünanlage eingerichtet. Erst danach wurden der Familie Spanier die Eigentumsrechte an dem Areal abgenommen. Otto Spanier und seine Frau Ilse sowie der achtjährige Sohn Manfred wurden deportiert und wenig später im Konzentrationslager ermordet. 1949 erhielt die Grünanlage den Namen Goetheplatz. Drei Jahre später starb auch Willy Spanier an den Folgen der Lagerhaft. Seine Frau Erna erhielt als Entschädigung für die Enteignung des Grundstücks am Goetheplatz ein Gebäude in der Eschstraße, in dem sich heute die Parfümerie Brenner befindet. 1953 versuchte die Politik erstmals, den Goetheplatz umzugestalten. Schon damals war eine Umbenennung im Gespräch, die jedoch nicht erfolgte. In den 80er Jahren wurde die Straßenführung am Goetheplatz verändert, der Nordring dichter abgerundet. Auf Anregung der Netzwerk- Gruppe des Gymnasiums am Markt und der SPD diskutierten die Politiker am Mittwoch erneut über eine mögliche Umbenennung des Platzes in »Spanierplatz«. Die Nachfahren der Familie Spanier hatten angeboten, die Aufstellung der Ohrenmensch- Skulptur des Bünder Künstlers Horst Perlick zu finanzieren, um an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Bünde zu erinnern. Ein Mahnmal sei eine gute Gelegenheit, die Geschichte des Goetheplatzes nicht zu vergessen und zu verdrängen, sondern eine symbolische Geste der Entschädigung zu setzen, sagte Angela Brüning, Vorsitzende des Vereins »Erinnerung und Dialog«. Der Verein begleitet die Errichtung eines Mahnmals am Goetheplatz. Überraschend kündigte Angela Brüning in der Sitzung jedoch an, nicht alle Mitglieder des Fördervereins seien für die Aufstellung der zwei Meter hohen Ohrenmensch- Skulptur. Stattdessen sei der Verein nun dafür, dass die Umrisse des früheren Kaufhauses Spanier in den Boden eingelassen werden und eine Stele aufgestellt wird, die an den Holocaust und die Opfer in Bünde erinnert. Eine Mini-Skulptur des Ohrenmenschen könne stattdessen im Rathaus aufgestellt werden. Einstimmig einigten sich alle Fraktionen in der folgenden Diskussion darauf, am Goetheplatz die Umrisse des früheren Kaufhauses Spanier kenntlich zu machen und eine Stele aufzustellen, die über die Geschichte des Ortes informiert. Über alle weiteren Punkte wurde kontrovers diskutiert. Roger Rabbe (Grüne) kritisierte, dass Bürgermeister Wolfgang Koch als Schirmherr des Ohrenmensch- Projektes sich komplett aus der Diskussion heraushalte. Gleichzeitig entnehme man den Medien jedoch, dass er am Volkstrauertag neben der Reichskriegsflagge posiert habe. Koch konterte, dass Rabbe sich erst kundig machen solle, bevor er Behauptungen aufstelle. Zudem habe der Verein »Erinnerung und Dialog« sich mit einer Mehrheit gegen die Aufstellung der Ohrenmensch-Skulptur ausgesprochen. Daher sei es ihm nicht mehr möglich, die Schirmherrschaft für die Aufstellung der Skulptur weiter zu übernehmen. CDU, FDP und UWG stimmten mit einer Stimme Mehrheit gegen die Aufstellung der Ohrenmensch-Skulptur als Mahnmal gegen das Vergessen auf dem Goetheplatz. Mit acht Ja-Stimmen, sechs Gegenstimmen und einer Enthaltung sprachen sich die Politiker stattdessen für die Aufstellung einer kleinen Ohrenmensch-Skulptur im Rathaus aus. »Wenn man eine Skulptur aufstellt, gehört die in die Öffentlichkeit und nicht versteckt ins Rathaus«, kritisierte Eyüp Odabasi (Grüne). Auch die Umbenennung des Platzes scheiterte. Während SPD und Grüne der Umbenennung unter der Voraussetzung, dass die Anwohner einverstanden sind, durchaus offen gegenüber standen, lehnten die anderen Fraktionen die Umbenennung rigoros ab. »Die Umbenennung ist nicht das geeignete Mittel, um dem Vergessen Einhalt zu gebieten«, sagte Martin Schuster (CDU). »Allein mit der Umbenennung kann man dem braunen Sumpf nicht begegnen«, so die FDP.
Von Kathrin Brinkmann